Gröpelinger Geschichtswerkstatt recherchiert im ehemaligen Deutsch-Südwest-Afrika
Pressemitteilung vom 02.12.2014
(veröffentlicht im Stadtteilkurier West des Weser-Kuriers und der Bremer Nachrichten am 07.12.2014, im Geschichtsportal Bremen-History.com am 08.12.2014, im Bremer Westen am 18.12.2014, in der Allgemeinen Zeitung NAMIBIA am 24.12.14 als Titelstory in der Weihnachtsbeilage, als TV-Beitrag bei Radio Bremen am 15.01.2015 und in
der Feb-März-Ausgabe 2015 des BAF)
Seit vier Jahren suchte die Geschichtswerkstatt Gröpelingen vergeblich nach Fotografien vom ehemaligen Landgut der Bremer Kaufmanns- und Arztfamilie Tölken zwischen Waller Friedhofsstraße und
Altenescher Straße, dem heutigen Urnenfriedhof (s. Familie Tölken auf dieser Website). Nun wurde sie im fernen Namibia, der einstigen deutschen
Kolonie in Südwest-Afrika, fündig. Der Vorsitzende Günter Reichert nutzte im Oktober eine Privatreise nach Namibia zur Spurensuche.
In Swakopmund lebt ein Drittel der ca 30 000 Namibia-Deutschen. Wegen der Seebrücke und des Leuchtturms wird die Stadt an der Atlantikküste auch ironisch als das südlichste deutsche Seebad
bezeichnet. Viele Straßen tragen noch deutsche Namen und die Gebäude aus der Kolonialzeit könnten auch irgendwo in Bremen stehen. Das Ehepaar Tölken engagiert sich zusammen mit anderen sehr für den
Erhalt der alten Gebäude in Swakopmund.
Eine Herzensangelegenheit ist ihnen aber der Einsatz für die Schule Gqaina in der Nähe ihrer Farm am Rande der Kalahari. "Gqaina" bedeutet in der Sprache der Buschmänner (San) soviel wie "Schule
unter dem Baum". Sie ist aber mehr als das, sie ist eine erfolgreiche Bildungseinrichtung für die immer noch benachteiligte Bevölkerungsgruppe der San. (s. Website der Schule und Video bei YouTube)
Der Bericht über unsere Spurensuche wurde auch von Radio-Bremen-TV als buten-un-binnen-Beitrag ausgestrahlt :
Um keine Mißverständnisse aufkommen zu lassen :
Eine Stellungnahme von Günter Reichert bezüglich des Engagements für das Land Namibia und
seine Bewohner
Das Land interessiert mich sehr, sowohl als Geschichtsinteressierter, als auch als Enkel meines Großvaters mütterlichseits, derunbedingt zur "Schutztruppe" in
Deutsch-Südwest wollte und mir viel über sein Traumziel erzählt hatte. Sie hatten ihn nicht genommen. Grund: Mit einer Körpergröße von 1,60 m war er zu klein. Ich habe mich immer wieder mit der
Geschichte Namibias und der deutschen Kolonialgeschichte dort beschäftigt und habe vom 06.- 29. Oktober 2014 das Land mit einem geliehenen Auto und einem Rucksack voller Fragen bereist, u.a. auch, um
von ausge-wanderten Nachkommen der deutschen Kaufmannsfamilie Tölken Fotografien von ihrem Gröpelinger Landsitz zu erhalten.
Farmer, bei denen ich wohnte, haben mir bereitwillig Vieles beantwortet. Der deutsche Teil der Geschichte des Landes ist sehr zwiespältig. Da gibt es auf der
einenSeite den Bremer Lüderitz (den "Lügenfritz"), mit dem alles begann, das ausbeuterische Verhalten der Deutschen Kolonialgesellschaft und der Diamantengesellschaft, die Misshandlungen der
Ureinwohner, der San, und die grausamen Vernichtungsfeldzüge der Schutztruppe gegen Hereros und Namas - und auf der anderenSeite die hart arbeitenden Farmer, die das sehr unfruchtbare Land zuerst von
der Kolonialgesellschaft und später von einem Vorbesitzer gegen "gutes Geld" erworben hatten. Sie sitzen im Geiste ständig auf den gepackten Koffern: In den beiden Weltkriegen interniert und vor der
Zwangsausweisung stehend, heute wegen einer langeangekündigten Landreform der SWAPO-dominierten Regierung. Ich selbst teile diese letzte Befürchtung nicht, da Namibia wohl das am besten regierte
demokratische Land Afrikas ist, das man als Tourist gefahrlos bereisen kann. Es wird daher nicht meine letzte Reise dorthingewesen sein. Die Regierung ist klug genug, den Fehler Robert Mugabes in
Zimbabwe (Rhodesien) nicht zu wiederholen, der alle englischstämmigen Farmer enteignen ließ.
Gut funktionierende Farmen haben in der Regel um die 40 schwarze Mitarbeiter, die mit ihren Familien in einer kleinen Siedlung auf dem Farmgelände leben. Der Farmer
ist gesetzlich zuständig für die Schaffung von Wohnraum und dieOrganisation des Schulbesuchs der Arbeiterkinder. 15% des Farmlandes ist in der Hand deutschstämmiger Familien, weitere 10% in der Hand
anderer Weißer, obwohl diese eine Minderheit bilden. Von den rund 2 Millionen Einwohnern sind 1,5% deutschstämmig und 57% gehören dem Volk der Owambos aus dem dichtbesiedelten, fruchtbareren Norden
des Landes an, die dort auch eigene Farmen betreiben und die Hauptwählerschaft für die SWAPO darstellen. Damaras, Hereros und Namashaben jeweils einen Bevölkerungsanteilvon ca 8%. Der Rest sind die
San, die Baster und andere. Deutschstämmige, die nicht in der Landwirtschaft arbeiten, findet man häufig im Tourismusgewerbe und in Handelsbetrieben. Die heutigen Deutsch-Namibier sind in der Regel
sehr sozial eingestellte Menschen und möchten nicht ständig für die Sünden ihrer Vorväter und -mütter zur Rechenschaft gezogen werden. Deshalb habe ich in meiner Presseerklärung auf das große
Engagement der Tölkens bezüglich der SAN-Schule hingewiesen.
Bremen, im Februar 2015 - Günter Reichert
Geschichtswerkstatt Gröpelingen suchte 2011 nach
Bildern und Augenzeugen des ehemaligen Landgutes Tölken