Ukrainische Zwangsarbeiter auf der AG „Weser“

Neue Dokumente aus der ukrainischen Stadt Mikolaiv (Nikolajev)

Im Jahr 2003 beteiligte sich die Geschichtswerkstatt Gröpelingen zusammen mit anderen Bremer Organisationen an einer Ausstellung der Landeszentrale für politische Bildung zum Thema „Ein KZ wird geräumt“ in der unteren Bremer Rathaushalle. Sie fertigte nach umfangreichen Recherchen eine Reihe von Plakaten für die Ausstellung an, die bis heute immer wieder das Interesse von zahlreichen Institutionen finden. So auch in diesem Jahr:

Der Geschichtsprofessor Anatolii Pogorielov aus der ukrainischen Stadt Mikolaiv (Nikolajev) hatte durch Vermittlung der Universität Bremen am 21.06.2016 der Geschichtswerkstatt einen Besuch abgestattet, der mit einer Besichtigung des ehemaligen AG-Weser-Geländes verknüpft war. Hintergrund waren Archivfunde von Heimatpostkarten und Arbeitsausweisen von 10 Männern aus  Mikolaiv und Umgebung, die 1942 bis 1945 Zwangsarbeit auf der AG „Weser“ verrichten mussten. Anatolii Pogorielov bat die Geschichtswerkstatt um Hintergrundinformationen, die nun auf dieser Website zum Teil veröffentlicht werden.

Der Schiffbaubetrieb AG "Weser", hervorgegangen aus dem Stahlbaubetrieb Waltjen & Leonhardt von 1843, entwickelte sich im Laufe seiner Geschichte zu einem der größten Rüstungskonzerne Deutschlands und dem größten Arbeitgeber Bremens.
Im Zuge der Weltwirtschaftskrise von 1929 war die Auftragslage für die AG "Weser" im Rahmen des zivilen Schiffbaus derart schlecht geworden, dass eine Schließung der Großwerft drohte. Ab 1933 wandte sich die Werftleitung deshalb an die neuen nationalsozialistischen Machthaber mit der Bitte um Berücksichtigung bei der Vergabe von militärischen Aufträgen. Sie wies dabei auf die große Erfahrung der Werft hin, die sie beim Bau von U-Booten und Kriegsschiffen für die kaiserliche Marine zwei Jahrzehnte zuvor sammeln konnte. (s. U-Boote auf der AG-Weser)

U-Boot 123 und U-200 vom Typ IX auf der Unterweser

Diesem Wunsch wurde Folge geleistet. Nach dem Bau des Artillerie-Schulschiffes "Brummer" 1935 folgten bis zum Jahr 1939 die Kiellegung von 10 Zerstörern, 19 U-Booten, 6 Torpedo-Booten und den 2 schweren Kreuzern Seydlitz und Lützow. Der sog. Z-Plan der Marineleitung sah bis zum Jahr 1942 eine Verdoppelung dieses Auftragsvolumens für die AG "Weser“ vor, die sich nun wie andere Rüstungsbetriebe vor ungeahnten Schwierigkeiten sah. Neben Engpässen in der Materialbeschaffung war es vor allem das Problem der Kapazität der Arbeitskräfte. Auf der AG "Weser" waren in den Jahren 1938 bis 1939 bereits über 12 000 Arbeitskräfte tätig. Zur Erfüllung des von Adolf Hitler persönlich zum "Führerbefehl" umgemünzten Z-Plans wären 3400 weitere Arbeitskrâfte nötig gewesen. Werftdirektor Stapelfeldt meldete diesen Bedarf bei den Arbeitsämtern in Bremen und Hannover umgehend an, wohlwissend, dass der Arbeitsmarkt im Deutschen Reich längst erschöpft war.

 

Mit der Entfesselung des 2. Weltkrieges durch die Nationalsozialisten am 1. September 1939 und dem Bedarf an wehrfähigen Männern verschärfte sich das Problem des Arbeitskräftemangels in den deutschen Rüstungsbetrieben aufs Äußerste. Aus "kriegswichtigen" Gründen wurde die 60-Stunden-Woche eingeführt und die Arbeiter zu Überstunden verpflichtet. Ab 1940 wurden sog. "Zivilarbeiter" aus den besetzen Ländern zur Arbeit in den deutschen Rüstungsbetrieben "dienstverpflichtet". Beim Bremer Arbeitsamt waren im September 1941 fast 26 000 Männer und Frauen aus den Ländern Tchechoslowakei, Polen, Niederlande, Belgien, Dänemark und Frankreich registriert, von denen auch Teile der AG "Weser" zugewiesen wurden. Die Betriebe wurden angehalten für einfache Wohnunterkünfte zu sorgen. Hauptanteilseigner der Aktiengesellschaft „Weser“ war seit 1941 der Friedrich-Krupp-Konzern in Essen.

Ein sog. Ostarbeiter und ein Soldat in einer privaten Kantinen-Einrichtung für die AG-Weser

Mit dem Überfall der deutschen Wehrmacht auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941 wurde ein weiteres grausames Kapitel der Zwangsarbeit aufgeschlagen. Zigtausende von Männern und Frauen aus den eroberten sowjetischen Siedlungen wurden zum Teil mit Hilfe der SS "ausgehoben" und als sog. "Ostarbeiter" in deutsche Betriebe verschleppt. Gleiches geschah mit den Kriegsgefangenen. Nach der Einrichtung einer Zentralstelle für den gesamten Arbeitseinsatz unter der Leitung des Thüringer Gauleiters Sauckel konnten deutsche Firmen dort regelrechte "Bestellungen" eines Kontingents von "Ostarbeitern" vornehmen. Am Ende des Krieges waren ca 7,5 Millionen ausländische Zwangsarbeiter im Deutschen Reich beschäftigt, wovon Zweidrittel aus der Sowjetunion stammten.

 

1943 nahm der Arbeitskräftebedarf noch einmal kräftig zu, weil die Sowjetunion große Teile der besetzten Gebiete zurückeroberte und damit der Strom an "Ostarbeitern" merklich versiegte. Nun erklärten sich die deutschen Rüstungsbetriebe damit einverstanden, auch KZ-Häftlinge unter starker Bewachung an der Rüstungsproduktion zu beteiligen. Diese Häftlinge waren Menschen aus den besetzten Gebieten, die sich der Widerstandsbewegung ihres Landes angeschlossen hatten und aufgegriffen worden waren. Den anderen kleineren Teil stellten deutsche Oppositionelle, also Kommunisten, Sozialdemokraten, Gewerkschaftler, Journalisten u.a. dar.

 

Da diese Menschen als Feinde des Deutschen Reichs galten, ging man besonders unmenschlich mit ihnen um. Es galt das Prinzip "Vernichtung durch Arbeit", d. h. die Häftlinge wurden unterernährt an schwere Arbeiten herangeführt, so dass sie häufig auf dem Betriebsgelände starben. Auf der AG "Weser" wurden Häftlinge des KZs "Bahrs Plate" in Bremen-Blumenthal und des KZs "Riespott" in Bremen-Oslebshausen eingesetzt, beide Außenlager des KZs Neuengamme. Ende 1944 wurde ein großer Teil der KZ-Häftlinge aus Blumenthal in das neue Außenlager des KZs Neuengamme in Bremen-Gröpelingen verlegt, dem "Kommando Schützenhof" in der Bromberger Straße.

Maschinenbauhalle 2, innen Maschinenbauhalle 2, innen

1943 arbeiteten auf der AG "Weser" ca 16 000 Deutsche und ca 4 000 Zwangsarbeiter, was die Werft in den Stand setzte, ihre Produktion zu verdoppeln und gegen Ende des Krieges zu verdreifachen. Von 1940 bis 1945 wurden 1 Seeschlepp- und Bergungsschiff, 1 Schlepp-Dampfer, 1 Werkstattschiff, 1 Schwimmkran, 2 Frachtschiffe, 176 U-Boote, 10 Zerstörer und 1 Schlachtschiff gebaut. Wegen der seit 1944 massiven Bombenangriffe auf die Werft konnten viele weitere Vorhaben nicht verwirklicht werden. Die "Zivilarbeiter" aus Westeuropa wurden vorwiegend im Schiffbau eingesetzt, während "Ostarbeiter" im Maschinenbau und in der Hohlkörperfabrik der AG "Weser" Beschäftigung fanden. In den Maschinenbauhallen 1 und 2 wurden Motoren und Maschinenteile für andere Industriebetriebe gefertigt, in der Hohlkörperfabrik Bomben-, Granaten- und Torpedohülsen für die Munitionsfabriken.

 

Untergebracht waren „Ostarbeiter“ im Lager Graf Spee am Ende des Halmerwegs (siehe Photos).

Ein besonders unbeliebter Arbeitsplatz war der nördlich des Betriebsgeländes der AG "Weser"  gelegene Bunker Hornisse, der nicht mehr fertiggestellt wurde.

Hier sollte ein bombensicheres Baudock mit meterdicken Wänden und Decken aus Beton für den Bau von U-Booten entstehen. Dafür mussten KZ-Häftlinge unter unmenschlichen Bedingungen Beton anrühren und vergießen. Aus Briefen ukrainischer Zwangsarbeiter geht hervor, dass auch sie dort eingesetzt wurden.

 

Die AG "Weser" galt trotz ihrer hohen Produktivität und der unbestrittenen Qualität ihrer Produkte als politisch unzuverlässig. "Kommunistisch verseucht", befand 1936 die Gestapo, deren Leute auf der Werft ein- und ausgingen. Bei Kriegsbeginn sei es nötig ca 4000 Angehörige der Belegschaft "festzunehmen und abzutransportieren“. Dazu kam es wegen des Arbeitskräftemangels natürlich nicht. Tatsächlich gab es auf der Werft kleine Widerstands- und Sabotagegruppen, die auf das Wirken der kommunistischen Schiffbauer Hermann Prüser und Adolf Ehlers zurückzuführen waren.

Ein Filmbeitrag von Holger Bahrs am 5.5.2010 in "butenunbinnen"

Gedenken an das KZ-Außenlager Schützenhof :

Bericht über Ausgrabungen auf dem Gelände des "Schützenhof" in der Bromberger Straße - einem ehemaligen Außenlager des KZ Neuengamme :

 

Quellen und weiterführende Literatur:

 

Dieter Pfliegensdörfer, Vom Handelszentrum zur Rüstungsschmiede - Wirtschaft, Staat und Arbeiterklasse in Bremen 1929-1945, Forschungsreihe des Forschungs-schwerpunkts "Arbeit und Bildung" Band 5, Copyright 1986 Universität Bremen

 

Reinhold Thiel, Die Geschichte der Actien-Gesellschaft "Weser", Band I  1843-1918, Copyright 2006 Verlag H.M. Hauschild GmbH, Bremen

 

Reinhold Thiel, Die Geschichte der Actien-Gesellschaft "Weser", Band II  1919-1945, Copyright 2006 Verlag H.M. Hauschild GmbH, Bremen

 

Peter Kuckuk, Die A.G. "Weser" bis 1914 - Von der Maschinenfabrik zur Großwerft, Copyright 1987 by steintor - Bremer Verlagsgesellschaft mbH

 

Peter Kuckuk, Die A.G. "Weser" 1914 bis 1933 - Vom Weltkrieg zur Weltwirtschaftskrise, Copyright 1987 by steintor - Bremer Verlagsgesellschaft mbH

 

Eike Hemmer - Robert Milbradt, Bunker "Hornisse" - KZ-Häftlinge in Bremen und die U-Boot-Werft der AG-Weser 1944/45, Copyright 2005 by Donat-Verlag

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