Sagen und Märchen aus Gröpelingen und Umgebung

Vom Riesen Hüklüt, von böser Zauberei und von der Wilden Jagd in Mittelsbüren

Odins Wilde Jagd (Gemälde von Peter Nicolai Arbo 1872) Odins Wilde Jagd (Gemälde von Peter Nicolai Arbo, 1872, Bildlink: http://de.wikipedia.org/wiki/Peter_Nicolai_Arbo)

Dass es Bremer Sagen und Märchen gibt, weiß man spätestens seit den Veröffentlichungen der Brüder Grimm und ihres Bremer Kollegen und Zeitgenossen Friedrich Wagenfeld Anfang des 19. Jahrhunderts. Das Grimmsche Märchen von den Bremer Stadtmusikanten ist weltweit bekannt und die Geschichten Wagenfelds von der Bremer Gluckhenne und den Sieben Faulen kennt jedes Bremer Schulkind. Dass aber auch das alte Dorf Gröpelingen hier einiges zu bieten hatte, wissen die Wenigsten.

 

Der Vorsitzende der Geschichtswerkstatt Gröpelingen hatte tief in der literarischen Schatztruhe gekramt und für die Mitglieder und Gäste seines Vereins Erstaunliches zu Tage gefördert.

Butterzauber in Oslebshausen (Sammlung Wagenfeld) Butterzauber in Oslebshausen (Sammlung Wagenfeld)

So weiß Friedr. Wagenfeld (1810-1846) von einem Vegesacker Schiffer zu berichten, der auf seinem Fußmarsch nach Bremen auf ein kluges Gröpelinger Mädchen traf, das der Zauberkunst mächtig war. Es hatte einen Korb voll Mäuse gezaubert, die es im Beisein des Schiffers im Kornfeld ihres bösen Nachbarn aussetzte. Ein anderes Mädchen aus Oslebshausen konnte der Kuh des Nachbarn die Butter wegzaubern.

 

Der Vegesacker Lehrer und Regionalhistoriker Lüder Halenbeck (1841-1895) erzählt in einer seiner Reisebeschreibungen eine besondere Variante der norddeutschen Volkssage vom Ochsen und Menschen fressenden Riesen Hüklüt, der der Sage nach für die Entstehung des Weyerberges bei Worpswede verantwortlich sein soll. Auf seinem Wege ins Teufelsmoor gab ihm der listige Bauernsohn Dietrich, den er stets als Spielzeug bei sich trug, einen verhängnisvollen Rat. Er möge doch von den Weserdünen bei Bremen eine Schürze voll Sand mitnehmen, den er auf die morastigen Wege streuen solle, um besser voranzukommen. Dass der schwere Sand erst recht dazu beitrug, den Riesen im Moor versinken zu lassen, er den Sand wütend dem flüchtenden Dietrich hinterher warf und so der Weyerberg entstand, ist allgemein bekannt. Weniger bekannt ist, dass die Siedlung, die später an der Weser entstand, Gröpelingen genannt wurde, weil der Riese dort in die Dünen griff (plattdeutsch: gröp).

(Diese nette Wortspielerei Halenbecks ist von der Wortstammkunde, der Ethymologie, her nicht ganz richtig. Der Name der Gröpelinger leitet sich von der alten Bezeichnung "gropen" für einen Wasserlauf oder Graben ab. Das Wort Grüppe ist heute noch in Norddeutschland üblich. Die Gröpelinger waren also eine Sippe, die auf einem Dünenrücken neben einem natürlichen Abzugsgraben siedelte, der die häufig überschwemmte Auenlandschaft rechts der Weser mit dem Fluss verband. Die Redaktion.) 

Der Sagenraum (aus einer Merian-Karte um 1650) Der Sagenraum (aus einer Merian-Karte um 1650)

Eine Fülle von Sagen und Märchen haben die Gröpelinger den in jüngerer Zeit entstandenen plattdeutschen Aufzeichnungen des Rablinghauser Lehrers und Heimatforschers Bernhard Rutenberg (1897-1973) zu verdanken. Er hatte in den Jahren 1925 - 1939 insgesamt 313 mündliche Überlieferungen von älteren Menschen u. a. aus Rablinghausen, Lankenau und Hasenbüren wortgetreu aufgezeichnet (Will-Erich Peuckert, Bremer Sagen, 1961). Obwohl diese Menschen alle am gegenüberliegenden Weserufer wohnten, spielte Gröpelingen (in der Karte: Gropelen) in vielen dieser Geschichten eine besondere Rolle. Grund dafür war, dass Rablinghausen und Lankenau bis 1750 keine eigene Kirche besaßen und die Bewohner an Sonn- und Feiertagen, bei Hochzeiten, Kindstaufen und Beerdigungen die hier langsam fließende Weser leicht mit dem Boot überqueren konnten, um die Gröpelinger Kirche aufzusuchen. Beim Kontakt mit der Gröpelinger Bevölkerung kam es zum Austausch von geheimnisvollen Ereignissen, darunter die Erzählung von der Katze in der Gröpelinger Mühle, die sich als Hexe herausstellte, Geschichten von geheimnisvollen Lichtern auf der Weser und eine Vielzahl anderer wahrscheinlich über Jahrhunderte mündlich weiter gegebener Schilderungen.
Besonders eindrucksvoll ist aus der Rutenbergschen Sammlung ein Bericht über die Wilde Jagd in Mittelsbüren, einem Nachbardorf von Gröpelingen. Einem alten germanischen Glauben zu Folge ritten bei Sturm und Gewitter die Heerscharen Odins (im Mittelalter: „höllische Reiter“) durch die Lüfte (s. Titelbild oben). Besonders an den Tagen zwischen Weihnachten und Neujahr musste man bei Sturm die Dielentür fest verschlossen halten, damit einem nichts Übles widerfuhr. Dies hatte ein Bauer aus Mittelsbüren nicht beachtet. Prompt konnte sich einer der Höllenhunde der Wilden Jagd Zutritt zum Haus verschaffen, um sich an der Feuerstelle der Diele niederzulassen. Dort blieb er ein Jahr lang in versteinerter Form liegen und war nicht weg zu bewegen. Als die Betroffenen im nächsten Jahr um die gleiche Zeit auf die Wilde Jagd warteten, ließ man bewusst die Hintertür offen und der steinerne Hund verschwand.
 

(Ende der 50er und Anfang der 60er Jahre wurden die Orte, um die es hier geht, der Industrialisierung geopfert und damit Jahrhunderte alte Überlieferungen dem Vergessen preisgegeben: 1957 das Dorf Mittelsbüren für die geplante und nicht vollzogene Erweiterung der Stahlwerke, 1959 die alte Gröpelinger Kirche von 1331 für die geplante und nicht vollzogene Erweiterung der AG-Weser und 1964 das Dorf Lankenau für den Bau der Containerhäfen. Die Redaktion.)