Aus dem fernen Shanghai zurück nach Deutschland
Historikerin Ingrid Brandt referiert bei der Geschichtswerkstatt Gröpelingen über die sog. Shanghai-Juden in der Tirpitzkaserne
(veröffentlicht im Stadtteilkurier-West des Weser-Kuriers am 10.05.2007, in der TAZ am 12.05.2007, im Bremer Anzeiger am 13.05.2007 und in der Juli-07-Ausgabe des BAF)
„DPs“ (displaced persons) waren sie. Eine Bezeichnung, die nach dem Krieg eigentlich Personen beschreiben sollte, die von den Nazis verschleppt worden waren. Dieser Begriff erfuhr aber bald einen Bedeutungswandel, den man auf gut Deutsch mit „unerwünschter Person“ beschreiben könnte, also Mitbürger, die kein Staat so recht haben wollte. Wer kann schon das Elend und die Verzweiflung jener Menschen beschreiben, die während der Nazi-Herrschaft aus Deutschland nach Shanghai vertrieben wurden und bei Kriegsende zwangsweise wieder in Bremen landeten?
Es handelt sich hierbei um 106 jüdische Mitbürger, die in den Jahren 1933 bis 1940 zusammen mit ca 17 000 anderen Juden aus dem Deutschen Reich und Österreich nach Shanghai als einzig mögliche letzte Zufluchtstätte emigriert waren und 1950 am Ende einer qualvollen Odyssee in die Tirpitzkaserne in Bremen-Gröpelingen deportiert wurden.
In den Jahren der nationalsozialistischen Diktatur hofften viele jüdische Familien, auswandern zu dürfen. Als eines der wenigen Ziele in der Welt bot sich ihnen die chinesische Stadt Shanghai an. Die Reise dorthin mussten sie selbst bezahlen, mitnehmen durften sie nur das Nötigste wie Kleidung, Wäsche und Erinnerungs-
stücke. Selbst packen durften sie nicht, eine Spedition und Beamte achteten darauf, dass sich keine Wertgegenstände im Gepäck befanden.
Das Shanghai der Jahre 1933 bis 1945 bestand aus dem chinesischen Kern (Chinese City), einigen chinesischen Stadtteilen und den Ausländerquartieren „Französische Konzession“ und „Internationale
Siedlung“, die nicht der chinesischen Verwaltung, sondern schon seit 1842 der Selbstverwaltung der Franzosen, Engländer und Amerikaner unterstellt waren. 1937 während des 2. Japanisch-Chinesischen
Krieges wurde Shanghai mit Ausnahme der Ausländerquartiere von den Japanern besetzt und besonders der Kuli-Stadtteil Hongkou (engl. Hongkew) durch Bombardements stark betroffen. Die Japaner
verfügten, dass genau dieser Teil der Stadt als Auffanglager für die jüdischen Emigranten dienen sollte. Die Einwanderer trafen auf unbeschreibliche Zustände: Kanalisation, Wasserversorgung und die
meisten Wohngebäude waren zerstört, von der Versorgung mit elektrischer Energie ganz zu schweigen. Die meisten der jüdischen Immigranten versuchten daher, so schnell wie möglich einen Wohnort in den
Ausländerquartieren zu finden. Dies wurde aber ab 1941 nach dem Angriff der Japaner auf Pearl Harbour völlig unmöglich gemacht, da sie nun die gesamte Stadt besetzten und 1943 Hongkou zum Ghetto für
alle jüdischen Flüchtlinge erklärten. Selbst altansässige Juden mussten mit wenigen Ausnahmen in das Ghetto übersiedeln.
Nach Kriegsende versuchten fast alle Ghetto-Bewohner in ein Land ihrer Wunschvorstellung auszureisen. Eine Gruppe deutschstämmiger Juden charterte ein Schiff nach San Francisco in den USA. Die
dortigen Behörden erklärten die Staatenlosen kurzerhand zu Deutschen, verfrachteten sie in geschlossene Güterwaggons und ließen sie durch den gesamten Kontinent nach New York transportieren. Von dort
wurden sie gegen ihren Willen nach Bremerhaven verschifft und weiter in das UNRRA-Lager in Bremen-Gröpelingen verbracht.
Die Historikerin und Kunstpädagogin Ingrid Brandt aus Ottersberg berichtet am Montag, dem 14. Mai 2007, um 19:30 Uhr auf Einladung der Geschichtswerkstatt Gröpelingen e.V. über das bisher unbeachtete
Schicksal dieser 106 Menschen. Ort der Veranstaltung sind die Räume der Arbeitervereins im Untergeschoss des Lichthauses, Hermann-Prüser-Straße 4. Der Eintritt ist frei.
Redaktionelle Ergänzung vom 04.05.2014:
Seit dem Jahr 2010 ist das Schicksal der Shanghai-Juden Bestandteil einer Plakat-Wanderausstellung über Migration in Bremen. Diese Aussstellung wurde erstellt vom Arbeitskreis Bremenr Archive, Thema: "Mit Träumen und mit Tränen - Kommen. Gehen. Bleiben."